Wochenlange Vorbereitung für einen kleinen Nadelpiks
Bevor am 10. Januar die Impfteams im BRK-Seniorenwohn- und Pflegeheim in Bad Kötzting anrücken konnten, hatten Andreas Leitermann und sein Team bergeweise Schreibarbeiten zu erledigen. Altenpfleger Rudolf Schreiner erzählt, warum er sich gegen Corona impfen ließ. Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner spricht von einem „bewegenden, emotionalen Ereignis“.
Von Frank Betthausen
Bad Kötzting. Rudolf Schreiner lässt sich impfen – und das aus Überzeugung. Seit 1999 arbeitet der 59-Jährige als Altenpfleger – vom ersten Tag an im BRK-Seniorenwohn- und Pflegeheim in Bad Kötzting. Er ist einer von 37 Beschäftigten der Einrichtung und der angegliederten Pflegestation im neuen Krankenhaus, die sich am Sonntag, 10. Januar, den vorbeugenden Piks in den Oberarm geben lassen. „Ich habe Verantwortung für die Bewohner“, erklärt er seine Motive. Als „Risikoarbeiter“ könne er schnell angesteckt werden und das Virus weiterverbreiten. Deswegen war für ihn bald klar, dass er an der Impfaktion teilnehmen wird. Zuvor hatte er sich umfassend informiert und vier Hausärzte um ihre Einschätzung und eine Empfehlung gebeten.
Vier Ärzte pro Impfteam
Zwei mobile Impfteams sind heute in das Heim in der Hauser Straße gekommen. Vor dem ersten Nadelstich hatten Einrichtungsleiter Andreas Leitermann und sein Team wochenlange Vorbereitungsarbeiten zu meistern - mit ungezählten Schriftwechseln und hunderten versandter Merkblätter sowie Aufklärungsbögen. Jetzt ist es geschafft! Vier Ärzte verabreichen an diesem Sonntag den ganzen Vormittag über 113 Personen den Impfstoff der Firma Biontech – zu den 37 Pflegekräften kommen 65 der knapp 80 Senioren, die in den beiden Wohnbereichen des Heims leben; außerdem elf der 18 Personen, die das BRK in der Pflegestation des Bad Kötztinger Krankenhauses betreut.
42 Prozent seiner Belegschaft beteiligen sich an der Impfkampagne. Ein Wert, der Andreas Leitermann nicht jubilieren lässt, der ihn aber auch nicht in Verzweiflung stürzt. Er weiß um die öffentliche, oft einseitige Debatte in den sozialen Netzwerken und die Skepsis mancher Mitarbeiter – vor allem der jüngeren. „Natürlich ist da noch ordentlich Luft nach oben“, sagt er. „Mit dem heutigen Tag ist aber nichts verwirkt. Jeder Mitarbeiter hat selbstverständlich immer noch die Möglichkeit, sich priorisiert in einem der beiden Impfzentren in Bad Kötzting oder Roding impfen zu lassen.“
Durch Zwang oder Druck sei bei den Beschäftigten nichts zu erreichen. „Es wird unsere Aufgabe sein, hier auch für die Politik in die Bresche zu springen und bei unserem Personal in den nächsten Wochen entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten.“ Er sei sich sicher, dass die Impfbereitschaft so noch weiter steigen werde, sagt Leitermann.
Warum sie sich hat impfen lassen? Mitarbeiterin Helga Martens (Name geändert) muss nicht lange überlegen. „Einmal als Schutz für mich selber – und einmal für die Familie.“ Und mit einem Lächeln lässt sie durchblicken, wie sehr sie sich eine Rückkehr zur Normalität wünscht. „Wir müssen ja auch mal wieder reisen dürfen“, meint sie.
Spaß und Freude im Umgang mit Menschen: Das gehört nicht nur für Martens zum Arbeitsalltag, das strahlt auch Dr. Hans Schneider während der Impfaktion in Bad Kötzting aus. Der langjährige stellvertretende Kreisvorsitzende des BRK, der Anfang Januar seinen 75. Geburtstag feierte, meistert heute seinen dritten Einsatz, seitdem die beiden Impfzentren und die mobilen Impfteams im Landkreis am 27. Dezember 2020 ihre Arbeit aufgenommen hatten.
Der ehemalige Chefarzt der Anästhesie des Chamer Krankenhauses kann es schon immer mit den Menschen. Mit Gesichtsschild und Schutzkleidung setzt er an dem großen Tisch im Foyer Bewohner um Bewohner die Spritze – immer einen beruhigenden, erklärenden Satz auf den Lippen. „Ein freundliches Wort ist viel verbindender als viele Fachbegriffe“, meint er. Wie seine bisherigen Erfahrungen ausfallen? „Ich bewundere den fast total reibungslosen Ablauf. Somit gilt meine Bewunderung der Vorbereitung“, urteilt er über die Impfungen.
Schneider ist einer von vier Ärzten, die den beiden mobilen Impfteams in Bad Kötzting angehören: Es sind Hausärzte aus der Region oder Mediziner der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), die in die Einrichtungen entsandt werden. Dazu kommen je zwei Verwaltungskräfte des Landratsamts, die jede Impfung am Laptop genau dokumentieren, je eine medizinische Fachkraft und pro Team ein Mitarbeiter des BRK, der den Impfstoff beziehungsweise die Spitzen aufzieht. Das Vakzin war in Roding zwischengelagert worden und wird bei rund vier Grad Celsius in einer Spezialbox aufbewahrt.
Die Mediziner sehen sich in Bad Kötzting längst nicht nur betreuten, pflegebedürftigen Personen gegenüber, die das Personal in geordneter, entspannter Atmosphäre einzeln in ihren Zimmern abholt. Auch selbstbestimmte, fitte Bewohner wie Rosi Braun (Name geändert) nehmen an dem großen Tisch im Foyer Platz. „Nehmen Sie auch die richtige Nadel? Ich bin Marcumar-Patientin“, sagt sie resolut zu KVB-Arzt Dr. Rudolf Müller (Name geändert); um ihn auch gleich noch offen und ehrlich damit zu konfrontieren, dass sie eine gewisse Skepsis wegen möglicher Nebenwirkungen hatte.
Der Hausarzt riet ihr zur Impfung
„Mein Hausarzt hat mir heute Morgen noch einmal zur Impfung geraten“, sagt sie, während eine junge Fachkraft ihre Körpertemperatur misst und ihr hilft, den Oberarm freizumachen. „Ich brauch´ nur den Muskel“, meint die Helferin im weißen Vollschutzanzug. Braun entgegnet scherzend: „Da ist nicht mehr viel Muskel da.“ Im nächsten Augenblick – Dr. Müller hält bereits die aufgezogene Spritze in der Hand – treibt sie ein letztes Mal Zurückhaltung um. Der Mediziner beruhigt sie. „Ich habe bereits 300 Leute geimpft“, erklärt er ihr. „Da war noch nichts. Ich meine, dass der Nutzen viel größer ist als die Nebenwirkungen.“ Braun ist endgültig überzeugt.
Im Gegensatz zu Dr. Hans Schneider hat Dr. Veronika Naimer an diesem Sonntag ihren ersten Impfeinsatz. Die junge Frau ist seit 1. Januar 2020 als Hausärztin in Falkenstein tätig. Für die Impfkampagne hatte sie sich vor allem aus zwei Gründen gemeldet. „Als bekannt wurde, dass die Impfungen kommen, habe ich mir gedacht, dass die Hausärzte hier einfach in der Pflicht sind. Außerdem ist es schon interessant, so etwas einmal zu erleben“, sagt die Allgemeinmedizinerin, die in ihrer Praxis ein wachsendes Interesse am Impfthema feststellt. „Es kommen immer mehr Fragen“, berichtet sie aus dem Alltag.
Die Gefühlslage von BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner pendelt an diesem Tag zwischen gespannter Erwartung und vorsichtiger Erleichterung. In Bad Kötzting spricht er von einem bewegenden, emotionalen Ereignis und einer Zäsur. Mit den Impfungen in den Einrichtungen des BRK verbindet er die Hoffnung, dass der Druck von den Heimen und dem gefährdeten Personenkreis genommen werde und sich die Arbeit in der Pflege wieder entspanne.
Der Weg durch die Herausforderungen der Pandemie ist noch ein langer, fordernder. Dessen ist sich der Kreisgeschäftsführer bewusst. Dennoch erklärt er: „Vielleicht beginnt mit den Impfungen auch eine neue Zeitrechnung in der Heimlandschaft insgesamt.“ Denn: Aus einer Situation heraus, die aktuell von vielen negativen Meldungen und Ereignissen geprägt sei, könne für die Zukunft auch positives Wissen generiert werden, das in die Strukturen und den Pflegealltag mit einfließen werde und müsse. – Nicht nur Rudolf Schreiner und seine Kollegen aus dem BRK-Seniorenwohn- und Pflegeheim in Bad Kötzting werden davon profitieren…