BRK-Mitarbeiterin Christiane Mühlbauer organisierte eine besondere Überraschung für die Bewohnerin der Pflegestation in Bad Kötzting – eine Sonntagsausfahrt auf einer schweren Maschine. Mit dem Ansturm an Motorradfahrern, die das Ganze begleiten wollten, hätte die Ideengeberin nie gerechnet.
Von Frank Betthausen
Bad Kötzting. Es sind die Augen von Jutta Bernhardt, die über lange Sekunden hinweg verraten, was in diesen Momenten in ihr vorgeht. Da ist dieses Leuchten! Diese kindliche Freude! Diese Aufregung! Die 60-Jährige sitzt vor der BRK-Pflegestation in Bad Kötzting in ihrem Rollstuhl und beobachtet, wie Bernd „Storch“ Kutzias in der Septembersonne mit seinem Trike auf den Hof fährt. Er bleibt nur wenige Meter von ihr entfernt stehen. „Super! Einfach super! Ich bin baff“, sagt die Moosbacherin, die wegen einer schweren Erkrankung seit zehn Jahren in der Rot-Kreuz-Einrichtung in der Hauser Straße lebt.
„Es gibt immer wieder schöne Aktionen für unsere BRK-Senioren – mit Lamas oder anderen Tieren, die zum Streicheln und Füttern in unsere Einrichtungen kommen. Wir wollten für Jutta aber bewusst etwas ganz anderes machen.“
Pflegefachkraft Christiane Mühlbauer
Dieser 22. September 2024 soll ihr großer Tag werden. Bernhardt wird das 110 PS starke Gefährt der Marke Boom (Modell Mustang) mit dem 1500er Chery Motor nicht nur ein wenig begutachten dürfen. Sie wird auf dem Sitz hinter Kutzias zu einer Bayerwald-Rundfahrt aufbrechen – begleitet von 49 Bikern, die sich nach einem Aufruf in den sozialen Medien zusammengefunden haben, um der 60-Jährigen ein unvergessliches Erlebnis zu bereiten…
Die Idee zu der Aktion hatte BRK-Pflege- und Gerontofachkraft Christiane Mühlbauer. Sie fährt selbst leidenschaftlich gerne Motorrad und unterhielt sich immer wieder angeregt mit Jutta Bernhardt über das besondere Hobby.
Aufrufe bei WhatsApp und Facebook
Dabei ließ die Bewohnerin, die sich noch gut daran erinnern kann, wie es war, mit ihrem Lebensgefährten durch die Gegend zu cruisen, einen Wunsch immer wieder durchblicken: Sie wollte noch einmal auf eine schwere Maschine steigen…
Gesagt, getan! Mühlbauer ließ das Ganze in ihre Bikerkreise „einsickern“, um Juttas Herzenswunsch wahrwerden zu lassen. „Es gibt immer wieder schöne Aktionen für unsere BRK-Senioren – mit Lamas oder anderen Tieren, die zum Streicheln und Füttern in unsere Einrichtungen kommen. Wir wollten für Jutta aber bewusst etwas ganz anderes machen“, erzählt sie.
So kam es, dass Heike Schöberl-Zinnbauer aus Schwarzach bei Nabburg einen Aufruf bei Facebook und WhatsApp veröffentlichte. Gesucht: ein Gespann-Fahrer für Jutta!
Die Sache brauchte ein paar Tage, bis sie Kreise zog – doch am Ende entstand der Kontakt zu Bernd Kutzias. Mühlbauer besuchte ihn extra, um sein Trike zu begutachten und zu überprüfen, ob es für die Aktion geeignet ist. Die Maschine passte perfekt. Und nicht nur sie! Auch der Fahrer war der ideale Mann! Der Oberpfälzer unterstützt seit Jahr und Tag Initiativen wie die in Bad Kötzting.
So beteiligt er sich etwa an den Aktionen des Münchner Vereins „Kids in emotion“, der benachteiligte Kinder und Jugendliche bei Ausflügen auf Trikes, Motorrädern mit Beiwagen oder Quads für ein paar Stunden aus dem Alltag ausbrechen lässt.
„Ich verlange dafür nichts. Sowas ist für mich eine Herzensangelegenheit. Das ist für mich selbstverständlich. Ich habe ja auch was davon – ich fahr' ja“, sagt Kutzias, der aus einem zweiten Grund froh ist, an diesem Tag in Bad Kötzting zu stehen.
„Das ist schon fast eine Sternfahrt für eine Heimbewohnerin. Was für eine tolle Geschichte!“
Heimleiter Stefan Hupf
Sein Einsatz stand durch einen Arbeitsunfall, nach dem er vier Wochen krankgeschrieben war, auf der Kippe. Sein Arzt hatte ihm erst am Donnerstag – kurz vor knapp – grünes Licht gegeben…
Auch sonst ist das Schicksal den Organisatoren gewogen. Mit 20 Motorradfahrern, die Jutta im Konvoi begleiten sollen, rechnet Christiane Mühlbauer noch gegen 13 Uhr bei den letzten Vorbereitungen.
Eine gute Stunde später werden es mehr als doppelt so viele sein. Das Knattern der Maschinen auf dem Parkplatz unterhalb der Pflegestation hört gar nicht mehr auf… Die jüngste Teilnehmerin ist 16 und mit ihrer 125er vorgefahren, der Älteste zählt mehr als 70 Lenze.
Ihre Tochter fährt mit dem Auto hinterher
„Siehst du, Mama, was da für dich für ein Haufen Leute herkommt?!“, sagt Tochter Laura gerührt zu ihrer Mutter. Sie wird an diesem Sonntag den Bikern mit dem Auto hinterherfahren und den Rollstuhl für die geplante Einkehr in St. Englmar transportieren.
Jutta Bernhardt steht inzwischen mit einigen anderen Bewohnern hinter einem Metallgeländer und blickt beeindruckt nach unten auf die Asphaltfläche, wo sich die Motorradfahrer-Schar auf die Tour vorbereitet. So ein Spektakel gibt es nicht alle Tage vor der BRK-Einrichtung!
Heimleiter Stefan Hupf, der auf seiner BMW mit Richtung Lamer Winkel aufbrechen wird, hat „Gänsehaut-Feeling“. Das gibt er offen zu, als er seiner Kollegin Christiane Mühlbauer und allen Unterstützern für die Initiative dankt.
Für ihn zeigt sich heute wieder einmal: Biker sind nicht die harten, wilden Gesellen, als die sie gerne hingestellt werden. Sie haben Herz und sind eine Gemeinschaft, in der einer dem anderen hilft. „Das ist schon fast eine Sternfahrt für eine Heimbewohnerin. Was für eine tolle Geschichte!“, freut er sich.
Kurz darauf geht es los. Jutta Bernhardt wird zurück zur Pforte und aus dem Rollstuhl sicher aufs Trike begleitet.
Ein paar letzte Anweisungen, ein letzter Austausch, schon rollt Bernd Kutzias mit seinem „Fahrgast“ hinunter zur Gruppe.
Der schließt sich auch Pflegedienstleiterin Martina Berzl als Sozia von Haustechniker Roland Dirscherl an. „Das lasse ich mir nicht entgehen“, sagt sie über die Unternehmung. Genauso wenig wie Hausmeister Thomas Kozcwara auf seiner Maschine!
Die Route für Jutta Bernhardt – die 60-Jährige soll möglichst viele Impressionen mitnehmen – hat Josef Hellerbrand aus Nabburg geplant. Er fährt an der Spitze und führt die eindrucksvolle „Horde“ – mittendrin das Trike – über den Großen Arber und den Großen Arbersee nach Bodenmais, Böbrach, Teisnach, Viechtach und St. Englmar.
Nach der Rückkehr sind es abermals die Augen von Jutta Bernhardt, die über lange Sekunden hinweg verraten, was in ihr vorgeht. Da ist dieses Glück! Diese Seligkeit! „Eine superschöne Sache war das“, sagt sie, als sie sich erschöpft, aber ganz bei sich auf ihr Zimmer zurückzieht.