Anita und ihr letzter Wunsch: Noch einmal die Füße ins Wasser halten
Das BRK begleitet eine todkranke 59-Jährige aus Bad Kötzting mit dem Herzenswunsch-Hospizmobil an den Mondsee nach Österreich. Die Frau, der nicht mehr viel Zeit bleibt, erlebt dort kleine und doch so große Alltagsmomente: Sie verbringt unbeschwerte Zeit am Wasser, genießt ein Zitroneneis und führt emotionale Gespräche mit ihrer Freundin und ihren Helfern.
Von Frank Betthausen
Bad Kötzting. Das ist eine Geschichte von wahrer Freundschaft. Von Menschen, die ganz uneigennützig etwas für andere geben. Und einem letzten, ganz kleinen Wunsch, der riesengroß werden kann! Anita hat Krebs. Sie lebt auf der Palliativstation am Krankenhaus in Bad Kötzting und weiß, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleiben wird. Eine Sehnsucht, die sich an ihrem Lebensende immer wieder auf ihr Herz legte: Die 59-Jährige, die ihren Nachnamen öffentlich nicht nennen möchte, wollte noch einmal ans Meer – an die Nord- oder die Ostsee – und ihre Füße ins Wasser halten.
„Wirklich schieben konnten und wollten wir das nicht mehr.“ BRK-Katastrophenschutzleiter Tobias Muhr
Das Team der Palliativstation erkannte, was ihr der Wunsch bedeutet und nahm vergangene Woche mit Tobias Muhr Kontakt auf, der beim BRK Cham das Projekt Herzenswunsch-Hospizmobil verantwortet. Rot-Kreuz-Mitarbeiter bringen Menschen in besonders fordernden Lebenssituationen mit dem Fahrzeug an ihre Wunsch-Orte, um ihnen eine Freude zu bereiten.
Mit tatkräftiger Unterstützung zweier Partnerorganisationen stellte der Katastrophenschutzleiter für die schwerkranke Patientin aus Bad Kötzting am Donnerstag und Freitag binnen weniger Stunden eine letzte Reise ins Glück auf die Beine. „Wirklich schieben konnten und wollten wir das nicht mehr“, sagt er.
Die Fahrt führte zwar nicht ans Meer – dafür war die Dame gesundheitlich zu mitgenommen –, aber sie brachte sie noch einmal ans Wasser. Mit einer großen Überraschung, einem Eis und emotionalen Momenten an der Seite ihrer langjährigen Freundin Kristina. Mit dem wunderbaren Gefühl, an einem heißen Sommertag die Beine wirklich noch einmal ins Wasser gehalten zu haben!
Sie entschied sich spontan um
Am Sonntag begleiteten die BRK-Rettungssanitäterinnen Mona Weiß und Lina Schmitz die Patientin und ihre Freundin nach Oberösterreich. Das Ziel der Fahrt: der Mondsee im Salzkammergut.
Der Ort war der gebürtigen Chamerin wieder eingefallen, als feststand, dass die lange Reise ans Meer zu viel für ihren Körper gewesen wäre. Sie war dort vor Jahren einmal gewesen und entschied sich spontan um. „Dann möchte ich dorthin – und noch einmal ein Eis essen“, sagte sie zu sich und Kristina, deren Nachname auf ihren Wunsch hin ebenfalls nicht erwähnt wird.
Kristina ist Physiotherapeutin und arbeitet im Physioteam Franz in Bad Kötzting. Sie hat Anita über fast 15 Jahre hinweg bis zum Schluss behandelt, ehe es in den vergangenen zwei Monaten nicht mehr möglich war. Daraus war mit der Zeit eine innige Verbindung entstanden. Beruf sei normalerweise Beruf, sagt die 37-Jährige. „Aber das hat sich so ergeben. Wir sind mal zum Essen gegangen – und so ist diese Freundschaft daraus geworden.“
Weiß (37) und Schmitz (22) holten die beiden Damen, die sich immer so viel gegeben haben, am Sonntag um 8 Uhr in Bad Kötzting ab.
Nach einem Zwischenstopp in Bad Füssing ging es direkt zum Mondsee, wo zwei Mitarbeiter der örtlichen Wasserrettung, Hannes und Franz, und zwei Kolleginnen des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK), Sarah und Magdalena, die Chamer an einem abgelegenen Bootshaus trafen. Außerdem mit dabei: Herbert Mayerhofer, dessen Sohn Fabian als Bademeister im Alpenseebad Mondsee arbeitet.
Tobias Muhr hatte die Unterstützung vor Ort organisiert.
Als Anita von den Aktiven der Wasserrettung Mondsee erfuhr, dass sie an diesem Tag nicht nur ans, sondern mit ihnen auch aufs Wasser darf, brach sie vor Freude in Tränen aus. Nachdem sie eine Schmerzinfusion bekommen hatte, lagerten die Helfer die 59-Jährige mit einem Rollstuhl auf ein Boot um und legten ab.
„Sowas erlebt man nur ein einziges Mal“
Gut eine Stunde lang brausten und glitten die Wasserretter mit der Patientin und ihren Begleitern bei traumhafter Aussicht auf die Berge über den türkisfarbenen See. „Das war wahnsinnig schön. Sowas erlebt man nur ein einziges Mal“, sagt Lina Schmitz.
Zurück an der Wasserrettungsstation war der Patientin und dem Team eine kurze Verschnaufpause gegönnt, ehe auf die Oberpfälzerin die nächste Überraschung wartete.
Herbert Mayerhofer nahm die Gruppe mit an seinen Privatstrand. Zweieinhalb Stunden verbrachten die Chamer dort. „Es war ein sehr intimer Kreis mit sehr persönlichen Momenten“, sagt Mona Weiß in der Rückschau. Anita berichtete viel aus ihrem Leben und von ihrer Krebs-Erkrankung. „Und auch jeder von uns hat dort im Schatten ein paar emotionale Geschichten erzählt“, erinnert sich Weiß.
Auf dem Grundstück von Mayerhofer erfüllte sich anschließend der sehnliche Wunsch der Betroffenen. Mit vereinten Kräften und unter tatkräftiger Mithilfe des Österreichers brachten die Damen die Schwerstkranke über einen Steg ans Ufer. Dort hielt sie minutenlang – den Blick in die Ferne gerichtet – die Füße ins Wasser.
Auch Kristina, Mona und Lina nutzten die Gelegenheit, sich bei den tropischen Temperaturen abzukühlen und mit Einverständnis der Patientin schwimmen zu gehen.
Danach ging es ins Café Übleis in der Marktgemeinde Mondsee, wo Hannes und Franz von der Wasserrettung sowie Sarah und Magdalena vom ÖRK wieder hinzustießen. „Die Verantwortlichen in der Konditorei haben wie alle anderen Beteiligten an diesem Tag, denen ich nur von Herzen danken kann für ihre Hilfsbereitschaft und unkomplizierte Art, alles für uns möglich gemacht“, betont Tobias Muhr.
So seien Plätze für die Teilnehmer der Unternehmung reserviert gewesen und alle seien auf einen großen Eisbecher eingeladen gewesen. „Das Personal war sehr nett und sehr zuvorkommend“, sagt Mona Weiß.
„Herbert war unser Held des Tages. Er hat sich total gekümmert. Er hat für die Frau alles gemacht und war sich für nichts zu schade.“ Lina Schmitz
Nur Anita kämpfte in dieser Phase mit ihren Kräften. „Sie war fix und fertig. Ihr hat es unglaublich gefallen. Aber für sie war das eine emotionale Achterbahnfahrt und eine körperliche Tortur“, meint die Rettungssanitäterin. Die 59-Jährige ruhte sich aus und genoss später eine Kugel Zitroneneis, die ihr die BRK-Kolleginnen ins Auto mitbrachten.
Ein Riesenanliegen ist es den beiden, nach ihren Erlebnissen Herbert Mayerhofer zu danken. „Ich habe schon lange keinen so sozialen Menschen mehr gesehen. Jemanden, der so selbstlos einfach mit hinlangt“, sagt Weiß. Er habe alles getan, um den Tag für Anita zu einem Erfolg werden lassen.
Mayerhofer habe sie und Schmitz über unzählige Telefonate auf Schleichwegen zum Mondsee gelotst, um den Stau dort zu umgehen, sei später mit dem Auto vorausgefahren, habe am See tatkräftig mit zugepackt und immer die richtigen Worte gefunden. Sogar den Rollstuhl habe er in einem Pflegeheim kurzfristig für ihren Fahrgast organisiert…
Auch Lina Schmitz betont: „Herbert war unser Held des Tages. Er hat sich total gekümmert. Er hat für die Frau alles gemacht und war sich für nichts zu schade. Das war wahnsinnig toll!“
Ähnlich beeindruckt reagierten die Rot-Kreuz-Mitarbeiterinnen auf Kristina, die Begleitperson ihrer Patientin. Die beiden hätten eine unglaublich intensive Verbindung, sagt Mona Weiß. Und sie fügt nachdenklich an: „Was mir die ganze Geschichte gezeigt hat? Es geht nichts über wahre Freundschaft. Es gibt nichts Besseres, als eine gute Freundin zu haben, die mit einem durch dick und dünn geht.“
In diesem Gefühl traf das Quartett – Anita gönnte sich auf der Heimfahrt noch ein Happy Meal bei McDonald´s – gegen 21.30 Uhr wieder an der Palliativstation in Bad Kötzting ein. Der Tag für die 59-Jährige war herausfordernd und anstrengend, aber er hat ihr viel gegeben. „Sie ist glücklich ins Bett gegangen“, erzählt Kristina.
Hintergrund: Das Herzenswunsch-Hospizmobil
Freude: Das BRK Cham ist einer von drei Kreisverbänden in Ostbayern, die ein eigenes Herzenswunsch-Hospizmobil betreiben. BRK-Mitarbeiter holen mit dem Fahrzeug schwerstkranke Patienten ab, um ihnen Freude zu bereiten und ihren oft letzten großen Wunsch zu erfüllen.
Vorurteile: Ein gängiges Vorurteil rund um das Projekt ist, dass viele Menschen und ihre Angehörigen die Unternehmungen nur mit dem Tod in Verbindung bringen. Dabei, das ist ein Anspruch der BRK-Verantwortlichen, soll dem Gast die Fahrt Spaß machen. Er soll die Unternehmung in vollen Zügen genießen.
Hilfe: Wer in einer schweren Situation steckt und Hilfe bei der Organisation einer Fahrt benötigt, darf sich jederzeit genauso an das BRK wenden wie Nachbarn, Freunde oder Bekannte, die von einem besonderen Wunsch wissen, den Betroffene in ihrem Umfeld haben.
Fahrten: Laut stellvertretendem Rettungsdienstleiter Tobias Muhr steht das Chamer Herzenswunsch-Mobil auch Personen zur Verfügung, die nicht todsterbenskrank sind. Es dürfe bewusst von Kindern oder Erwachsenen genutzt werden, die in ihrer allgemeinen, krankheitsbedingten Lebenssituation nicht ohne Weiteres einen Ausflug unternehmen und unbeschwerte Stunden verbringen könnten.
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→ Kontakt: Anfragen zu seinem Herzenswunsch-Hospizmobil nimmt der BRK-Kreisverband per Mail unter der Adresse herzenswunsch@kvcham.brk.de entgegen.