Das Maß war voll: BRK zeigt nach Lastwagen-Unfall zwei Autofahrer an

Rettungsdienstleiter Dominik Lommer reichte es nach den Geschehnissen, die sich am 24. Februar auf der B 22 zutrugen. In der Nähe des Knotens Cham-Mitte war damals ein Milchtransporter in die Leitplanke gekracht. In der Folge bildete sich ein langer Stau, in dem eine Reihe an Autofahrern riskant wendete, um nicht warten zu müssen. Als Rot-Kreuz-Kräfte zur Unfallstelle eilten, an der ein Mann um sein Leben kämpfte, gerieten sie durch das rücksichtslose Verhalten in brandgefährliche Situationen. Auch die Aktiven der Feuerwehr Cham waren betroffen. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs konnte eine Karambolage nur durch eine Vollbremsung verhindern.

  • Von Frank Betthausen

    Cham. Für Rettungsdienstleiter Dominik Lommer war nach dem tragischen Lastwagenunfall, der sich am 24. Februar auf der B 22 in der Nähe des Knotens Cham-Mitte ereignet hatte, das Maß voll. Ein 38-Jähriger fuhr damals mit seinem Milchtransporter in die Leitplanke. In der Folge – der Mann starb trotz intensiver medizinischer Versorgung später im Krankenhaus – bildete sich ein langer Stau, in dem eine Reihe an Autofahrern versuchte, riskant zu wenden. Sie alle wollten Wartezeiten umgehen und in Richtung Weiden zurückfahren.

  • Die Unfallstelle in der Nähe des Knotens Cham-Mitte: Der 38-Jährige war hier mit seinem Transporter in die Leitplanke gekracht. (Foto: FFW Stadt Cham)

„Man steht im Stau, es geht nichts weiter, der Erste vor einem dreht um, der Zweite, der Dritte… Und dann macht so mancher das halt auch, weil es in die andere Richtung schneller geht.“ 

Tobias Muhr, stellvertretender Rettungsdienstleiter

Zwei von ihnen – neben dem Kennzeichen lagen gute Personenbeschreibungen vor – hat das BRK Cham jetzt angezeigt, nachdem Rot-Kreuz-Kräfte auf der Anfahrt durch das rücksichtslose Verhalten in gefährliche Situationen geraten waren.

Auch die Aktiven der Chamer Feuerwehr waren an dem besagten Freitag mehrfach betroffen. Teils massiv, wie Kommandant Markus Reittinger berichtet. Er wäre am 24. Februar als Beifahrer um ein Haar selbst in eine Karambolage verwickelt worden, wenn sein Kamerad am Steuer mit dem Einsatzfahrzeug nicht im letzten Moment eine Vollbremsung hingelegt hätte.

Es geht ihm um Prävention und Aufklärung

Die Frau eines dunklen Kleinwagens war aus der Autoschlange ausgeschert und hatte plötzlich im 90-Grad-Winkel mit der Fahrerseite in die Spur gestanden, auf der sich die Floriansjünger von hinten näherten. „Mich hat es richtig in den Gurt gerissen“, erzählt der Kommandant.

„Wir wollen den Leuten nichts Böses, indem wir ihnen jetzt diese Anzeigen hinterherjagen“, betont Lommer bei einem Gespräch mit Reittinger und Christian Hiergeist, dem Verkehrssachbearbeiter bei der Chamer Polizei.

Dem Rot-Kreuz-Vertreter geht es nach eigenen Angaben natürlich ein Stück weit um die abschreckende Wirkung. Viel wichtiger sind ihm aber Prävention und Aufklärung. „Wir werden da in Zukunft noch viel genauer drauf schauen“, kündigt er an.

  • Christian Hiergeist, Verkehrssachbearbeiter bei der Polizeiinspektion Cham (links), Markus Reittinger, Kommandant der Chamer Feuerwehr (Mitte), und BRK-Rettungsdienstleiter Dominik Lommer zeigten bei einem gemeinsamen Gesprächstermin auf, welche Gefahren von Autofahrern ausgehen, die in Staus an Unfallstellen wenden. (Foto: Stefan Raab)
  • Aus gutem Grund! „Das Ganze ist nicht ohne. Man fürchtet mittlerweile bei solchen Einsatzfahrten um sein Leben, wenn man an eine Unfallstelle kommt, um jemandem zu helfen“, formuliert es Reittinger mit drastischen Worten. Und Dominik Lommer ergänzt: „Wir machen das alle nicht, weil wir zu dieser Zeit nichts Besseres zu tun hätten, sondern um Menschen zu helfen, die in Not sind. Das muss den Leuten bewusst sein.“

    Der Fall am 24. Februar war dabei längst nicht der erste, in dem Autofahrer durch ihr egoistisches Verhalten auffielen. Auch nach einem Unfall, der sich am 14. Januar auf der B 20 zwischen Chammünster und Kothmaißling ereignet hatte, hatten Pkw-Lenker im Stau gewendet.

Die Chamer Polizei erstattete damals Anzeige gegen einen Lastwagenfahrer. In beiden Fällen, darauf verweist Lommer, hätten Patienten reanimiert werden müssen. „Wenn ich zu einem Leichtverletzten fahre, spielt der Zeitfaktor vielleicht nicht die entscheidende Rolle, weil es nicht um Leben und Tod geht. Aber bei einer Reanimation geht es um Sekunden und Minuten“, zeigt er auf.

Neben den Gefahren für die Einsatzkräfte verweist der BRK-Mitarbeiter auf die enormen Risiken, denen sich Verkehrsteilnehmer mit ihrer Waghalsigkeit selbst aussetzen. „Wenn jemand im Stau mit seinem Wagen rauszieht, steht er mit der Fahrerseite unweigerlich quer zur Straße“, verdeutlicht Lommer.

Busfahrer, die den Vogel zeigen

Bei der Kollision mit einem Notarztauto habe der Betreffende die Chance, den Zusammenprall zu überleben. „Aber bei einem Zwölf-Tonner der Feuerwehr schaut es düster aus. Und dann macht man sich vielleicht als Einsatzfahrer selbst noch Vorwürfe, dass man jemanden auf dem Gewissen hat, obwohl man null Komma null Chance hatte“, erklärt der Rettungsdienstleiter.

Wo die Ursachen für dieses Verhalten liegen? Etwa darin, dass die Leute immer ungeduldiger werden? „Das gab es früher auch schon“, berichtet Markus Reittinger. Er habe vor Jahren schon ähnliche Situationen erlebt. In einem besonders drastischen Fall habe der Fahrer eines Reisebusses gewendet und Feuerwehrkräften, die zum Warten gezwungen gewesen seien, sogar noch den Vogel gezeigt.

  • „In letzter Zeit tritt all das aber doch wesentlich häufiger auf“, meint der Kommandant. „Ich denke, dass da Zeitdruck eine Rolle spielt. Keiner möchte mehr warten, weil er in einer bestimmten Zeit unbedingt von A nach B kommen muss.“

    Für Tobias Muhr, den stellvertretenden Rettungsdienstleiter beim BRK, ist der Leichtsinn der Menschen bis zu einem gewissen Punkt sogar erklärbar. „Man steht im Stau, es geht nichts weiter, der Erste vor einem dreht um, der Zweite, der Dritte… Und dann macht so mancher das halt auch, weil es in die andere Richtung schneller geht“, gibt er seine Eindrücke wieder.

  • Der Fall am 24. Februar war längst nicht der erste, in dem Autofahrer durch ihr egoistisches Verhalten auffielen. Auch nach diesem Unfall, der sich am 14. Januar auf der B20 zwischen Chammünster und Kothmaißling ereignet hatte, hatten Pkw-Lenker im Stau gewendet. (Foto: FFW Stadt Cham)

„Wir lassen im Stau niemanden verhungern.“ 

Markus Reittinger, Kommandant der Chamer Feuerwehr

Absicht will er den wenigsten Autofahrern unterstellen. „Die Betroffenen verstehen zu diesem Zeitpunkt einfach nicht, dass sie das Überleben von Patienten gefährden oder sich selbst und Rettungskräfte“, meint er. Die Bürger müssten verstehen, dass in Situationen wie denen am 14. Januar und 24. Februar zu jeder Zeit Einsatzkräfte nachrücken könnten.

Markus Reittinger ist es ein Anliegen, Autofahrern aufzuzeigen, dass sich Ungeduld niemals lohnt. „Wir lassen im Stau niemanden verhungern“, betont der Kommandant der Chamer Feuerwehr. „Zuerst kommt der Patient dran, aber spätestens nach 30 Minuten wird mit der Polizei abgestimmt, wie der Stau aufgelöst wird.“

Auf entsprechende Hinweise von Feuerwehr- oder Polizeikräften dürften Pkw-Fahrer dann gesichert wenden, jeder Lkw-Fahrer werde rückwärts fortgeleitet. „Das dauert dann zwar etwas, aber das ist der sichere, gefahrlose Weg. Es muss keiner stundenlang stehenbleiben und warten, bis die Unfallstelle geräumt ist“, sagt Reittinger.

Hintergrund: Das sagt die Polizei

  • Erfahrungen: Wie Christian Hiergeist, Verkehrssachbearbeiter bei der Chamer Polizei aufzeigt, sind seine Kollegen im Normalfall eher selten in Situationen verwickelt, wie sie die Feuerwehr oder der Rettungsdienst auf der Anfahrt zu Einsatzstellen erleben. „Die Polizei trifft meistens etwas später an der Unfallstelle ein“, sagt er.
     
  • Ordnungswidrigkeit: Laut Hiergeist handelt es sich beim Wenden auf der Kraftfahrstraße um eine Verkehrsordnungswidrigkeit. Im Bußgeldkatalog sei sie mit mindestens 200 Euro Geldbuße und einem Monat Fahrverbot belegt.
     
  • Straßenverkehrsgefährdung: Kommt – wie im von der Feuerwehr geschilderten Fall – der Verdacht einer Straßenverkehrsgefährdung hinzu, können die Konsequenzen weitaus drastischer ausfallen. „Ein Vergehen wie dieses ist mit einer Geldstrafe oder im schlimmsten Fall mit Gefängnis bedroht – je nachdem, welche Folgen das Verhalten hatte“, erläutert Hiergeist.
     
  • Fahrerlaubnis: Neben einer Geldstrafe ist bei einer Straßenverkehrsgefährdung nach Angaben des Polizeihauptkommissars auch der Entzug der Fahrerlaubnis möglich.

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