Das Projekt „Mobile Retter": Die ultimative Nachbarschaftshilfe für Cham

Der Landkreis Cham hat am Montag offiziell das Modellprojekt „Mobile Retter“ gestartet, das in Regensburg und Neumarkt schon große Erfolge vorzuweisen hat. Dabei werden Bürger über ihr Smartphone alarmiert, wenn jemand in der Nähe einen Herzkreislauf-Stillstand erlitten hat. Die ausgebildeten Ersthelfer fahren zum Patienten und überbrücken die Zeit, bis der Notarzt und der Rettungsdienst eintreffen. „Es zählt jeder Retter! Wir müssen das Netz so dicht wie möglich machen. Es können nie zu viel sein“, betont Projektleiter Professor Dr. Carsten Jungbauer von der Uniklinik in Regensburg. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, kann sich ab sofort beim BRK in Cham melden.

  • Von Frank Betthausen

    Cham. Annalena Späth zögert keine Sekunde, als der Alarm auf ihrem Handy eintrifft. Die junge Frau aus Furth im Wald ist sonntags auf dem Heimweg aus Regensburg. Auf der B 20 gibt ihr Smartphone einen schrillen Ton von sich. Die App zeigt der jungen Frau einen Notfall ganz in der Nähe an. „Glück im Unglück“, schießt es ihr durch den Kopf.

    Späth hatte sich vor kurzem als einer der ersten Teilnehmer im Landkreis Cham für das Projekt „Mobile Retter“ registrieren lassen. Sie nimmt den Einsatz sofort an und lässt sich vom Navigationssystem der App lotsen. Nach drei Minuten fährt sie vor dem Haus vor, an dem Angehörige eines Mannes, der einen Herz-Kreislauf-Stillstand hatte, den Notarzt und das Rote Kreuz herbeisehnen.

  • Das BRK Cham und seine Gemeinschaften waren am Montagabend mit einer starken Delegation im Landratsamt vertreten. Mit auf dem Bild: Notarzt Dr. Thomas Etti (4. von rechts) (Fotos: Frank Betthausen)

„Wir reden über keine Phantomdiskussion, die ohnehin nur alle heilige Zeit einmal vorkommt, sondern von einem Krankheitsbild, das auch in unserer Region präsent ist und uns immer wieder bewegt und betrifft.“ 

Landrat Franz Löffler

Hier könne sie nicht stehenbleiben, man warte auf den Rettungsdienst, will die aufgelöste Ehefrau des Betroffenen sie weiterschicken…

Doch Späth lässt sich nicht beirren. Sie stellt sich als „Mobile Retterin“ vor, eilt zu dem Patienten, neben dem ein Familienmitglied kniet, und beginnt damit, den Schwerkranken zu reanimieren. Etwa acht Minuten lang kämpft sie zusammen mit dem Angehörigen des Mannes um dessen Leben. Als der Notarzt eintrifft, assistiert sie dem Mediziner und hilft, die Zeit zu überbrücken, die der Rettungsdienst noch bis zu dem Anwesen benötigt.

„Dadurch, dass ich in der Notaufnahme arbeite, weiß ich, wie man in solchen Fällen reagiert“, erzählt Späth am Montag im Sitzungssaal des Landratsamts. Landrat Franz Löffler präsentiert dort zusammen mit Professor Dr. Carsten Jungbauer und Dr. Julian Hupf vom Uniklinikum Regensburg die Idee der „Mobilen Retter“. Vor Vertretern des regionalen Gesundheitswesens und der Chamer Blaulicht-Organisationen geben sie an diesem Abend den offiziellen Startschuss für die Initiative im Landkreis.

Vom Landrat gab es einen Strauß Blumen

Späth ist eingeladen worden, um über ihre Erfahrungen als ehrenamtliche Unterstützerin des Projekts zu berichten. Es war im Juli 2021 in Zusammenarbeit mit dem Verein „Mobile Retter" über die Uniklinik, den Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung sowie die Stadt in Regensburg und der Umgebung ins Leben gerufen worden. Ende 2022 hatten es in die Initiatoren auf Neumarkt und Cham ausgeweitet.

Wie Franz Löffler – er überreicht der jungen Furtherin zum Dank für den allerersten Einsatz dieser Art in der Region einen Blumenstrauß – betont, habe Späth einen großen Anteil daran gehabt, dass der Betroffene an diesem Tag lebend mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus nach Straubing habe geflogen werden können.

  • Landrat Franz Löffler überreichte Annalena Späth aus Furth im Wald einen Blumenstrauß – als Dank für den allerersten Einsatz eines "Mobilen Retters" im Landkreis Cham.
  • Und genau darum geht es, wie Carsten Jungbauer als Oberarzt der Inneren Medizin, der Kardiologie und der Rhythmologie in seiner Projekt-Vorstellung skizziert: das Überleben von Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu verbessern und ihnen nach einem schweren Schicksalsschlag „eine Chance auf ein Leben mit Lebensqualität zu geben“.

    Der Mediziner und Projektleiter zeigt in seinem Vortrag in aller Deutlichkeit auf, wie entscheidend die ersten vier Minuten für den weiteren Verlauf der Patienten-Geschichte sind. Denn: Nach diesem Intervall sinke die Überlebenswahrscheinlichkeit in einer ohnehin schwierigen Ausgangslage rapide.

    An dieser Stelle setzt das System der „Mobilen Retter“ an. Entsprechend qualifizierte Teilnehmer lassen sich dafür registrieren und laden sich eine App auf ihr Smartphone.

Wird der Integrierten Leitstelle in Regensburg ein Herz-Kreislauf-Versagen gemeldet, setzen deren Mitarbeiter nicht nur den Rettungsdienst in Gang, sondern steuern über den Handydienst zusätzlich einen Alarm an alle in Frage kommenden Ersthelfer in der Nähe aus.

Jeder der Ehrenamtlichen entscheidet selbst, ob er den Einsatz annimmt und die Fahrt antritt. Nachteile entstehen ihm bei einer Ablehnung keine, wie Jungbauer betont.

Entschließt sich ein Freiwilliger dafür, einzuspringen, weist ihm die Handy-App den Weg. An der Einsatzstelle beginnt der Helfer umgehend mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung und überbrückt so die Zeitspanne, bis der Rettungsdienst und der Notarzt vor Ort sind.

Die durchschnittliche Zeit bis zum Eintreffen professioneller Retter liegt in Bayern laut Jungbauer bei neun bis zehn Minuten. Der „Mobile Retter“ ist nach den bisherigen Auswertungen in drei bis fünf Minuten vor Ort.

Sein Wunsch: Der Dauerbetrieb

Franz Löffler bezeichnet die Initiative und ihre Effekte als „phänomenal“. So funktioniere „eine tolle Gemeinschaft“, meint der Landrat mit Blick auf das Netz freiwilliger Helfer.

„Wir reden über keine Phantomdiskussion, die ohnehin nur alle heilige Zeit einmal vorkommt, sondern von einem Krankheitsbild, das auch in unserer Region präsent ist und uns immer wieder bewegt und betrifft“, sagt der Politiker, der sich nach eigenen Angaben wünscht, „dass das zu einem Dauerbetrieb wird“.

Wichtig für die Menschen sei die Botschaft, dass es sich bei den „Mobilen Rettern“ nicht um „Hilfe zweiter oder dritter Klasse“ handele. Die Teilnehmer seien aus- und fortgebildet und immer auf dem Laufenden. Und: Das Rettungssystem laufe parallel trotzdem immer ganz normal an.

  • Ein Punkt, auf den auch Carsten Jungbauer verweist. Das Projekt sei eine reine Ergänzung der normalen Rettungskette. Medizinische Laien könnten sich nicht aktiv als Ersthelfer einbringen. Der in Frage kommende Personenkreis umfasst Rettungsdienst-Mitarbeiter, Pflegekräfte, Ärzte, Feuerwehren, Rettungsschwimmer, Medizinische Fachangestellte, Medizinstudenten, betriebliche Ersthelfer oder Polizeibeamte.

    Trotz dieser Einschränkungen auf bestimmte Personen- und Berufsgruppen spricht der Professor aus Regensburg mehrfach von der „ultimativen Nachbarschaftshilfe“. Stand Montag hatten sich nach seinen Worten bereits 1141 Ersthelfer in Regensburg, Neumarkt und Cham registriert – in einem Gebiet, das rund 613 000 Einwohner umfasse. „Damit sind wir eine der größten ‚Mobile-Retter-Regionen' deutschlandweit.“

  • Professor Dr. Carsten Jungbauer (rechts) und Rettungsdienstleiter Dominik Lommer (Mitte) kennen sich seit dem Jahr 2019, als sie über die Rot-Kreuz- und Feuerwehr-Initiative „Herzklopfen“ erste Berührungspunkte hatten. Während Jungbauer in Cham das Projekt "Mobile Retter" im Detail vorstellte, ging Dr. Julian Hupf (links) auf die begleitende Studie REAP ein.

„Letztlich macht es mich stolz, dass es so weit gekommen ist und wir durch diese Verbindungen, die wir geschlossen haben, all das auf die Beine stellen konnten.“ 

Rettungsdienstleiter Dominik Lommer

Der Zulauf an Ehrenamtlichen, das freut den Projektleiter besonders, ist ungebrochen. „Es werden jeden Tag mehr“, sagt er. Und: „Es zählt jeder Retter! Wir müssen das Netz so dicht wie möglich machen. Es können nie zu viel sein.“

Was ihn und BRK-Rettungsdienstleiter Dominik Lommer in besonderer Weise beeindruckt: Ohne dass die Idee in der Region groß beworben worden wäre, haben sich im Landkreis bereits 71 Freiwillige angemeldet.

„Ich bin zuversichtlich, dass es mit den Partnerorganisationen ganz schnell möglich wird, dass wir 200 oder 300 finden“, äußert sich der BRK-Vertreter optimistisch und ist sich darüber mit den Vertretern der Rot-Kreuz-Gemeinschaften, der Malteser, der Feuerwehren, der Polizei, der DLRG und des THW einig, die ebenfalls in den Sitzungssaal gekommen sind.

Viel Lob für das Projekt „Herzklopfen“

„Jetzt geht es darum, dass alle Verantwortlichen rausgehen in ihre Organisationen und die Werbetrommel rühren“, appelliert Lommer an die Anwesenden. Ein bis zwei Promille der Bevölkerung seien nötig, damit das Projekt flächendeckend funktioniere.

Carsten Jungbauer und er kennen sich seit dem Jahr 2019, als sie über die Initiative „Herzklopfen“ erste Berührungspunkte hatten. „Eine tolle Idee, eine tolle Initiative – toll umgesetzt“, lobt der Chefarzt das Anfang 2022 beim BRK gestartete Projekt, bei dem es darum geht, Feuerwehrkräfte ausgewählter Standorte dazu zu befähigen, ebenfalls noch vor Eintreffen des Rettungsdienstes mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung zu beginnen.

Die Kooperation – Lommer dankt bei dem Termin im Landratsamt in besonderer Weise Kreisfeuerwehrarzt Dr. Stefan Enderlein für die Unterstützung – beeindruckte Carsten Jungbauer damals derart, wie er verrät, dass er anfangs dachte, im Landkreis Cham brauche es gar keine „Mobilen Retter“ mehr.

  • „Jetzt geht es darum, dass alle Verantwortlichen rausgehen in ihre Organisationen und die Werbetrommel rühren“, appellierte Rettungsdienstleiter Dominik Lommer im Großen Sitzungssaal des Landratsamts an die Anwesenden. Er meinte damit auch BRK-Katastrophenschutzleiter Tobias Muhr (links) und Kreisbereitschaftsleiter Norbert Winkler.
  • Nach einem Telefonat mit Dominik Lommer stand jedoch schnell die Erkenntnis, dass die Projekte zwar „die gleiche Grundintention haben, aber doch einen etwas anderen Angriffspunkt“. Unter dem Strich könnten sie sich perfekt ergänzen, weshalb Jungbauer die Regensburger Initiative am Ende doch überzeugt nach Cham ausrollte.

    „Letztlich macht es mich stolz, dass es so weit gekommen ist und wir durch diese Verbindungen, die wir geschlossen haben, all das auf die Beine stellen konnten“, sagt Dominik Lommer über die „Mobilen Retter“.

Dass dieses Vorhaben in Verbindung mit der klinischen Studie REAP (Regensburger Reanimations App) möglich werde, freue ihn außerordentlich und erfülle ihn mit persönlichem Stolz.

Wie eng REAP und die „Mobilen Retter“ miteinander verzahnt sind, darauf geht am Montag Dr. Julian Hupf, Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin sowie Oberarzt in der Notaufnahme der Uniklinik Regensburg, ein. „Ohne das eine gäbe es das andere nicht“, verdeutlicht er mit Blick auf die zweijährige, anonymisierte Studie, die von der Deutschen Herzstiftung finanziert wird.

Ihr Ziel ist es, „einen Wirksamkeitsnachweis für Smartphone-basierte Ersthelfersysteme zu erbringen“. Dazu werden alle Reanimationen in den Landkreisen Cham, Neumarkt und Regensburg sowie in der Bezirkshauptstadt erfasst und wissenschaftlich ausgewertet.

Der Tag, an dem Annalena Späth auf der B 20 keine Sekunde gezögert hatte und einem Mann zur Seite stand, der in Not geraten war, findet sich bereits in der Statistik…

Zusatz-Information:

Wer Interesse hat, sich als „Mobiler Retter“ zu engagieren, kann sich per E-Mail unter der Adresse mobile.retter(at)brkcham(dot)bayern beim Bayerischen Roten Kreuz melden.

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