Mit so etwas hätte beim BRK-Kreisverband keiner gerechnet, als am 16. Februar auf unseren Kanälen bei Facebook und Instagram ein Foto von einem liebevoll bemalten, geheimnisvollen Stein online ging, der vor unserer Tagespflege in Willmering abgelegt worden war... Eine bundesweit organisierte Gruppe, die den Menschen im Alltag mit kleinen Kunstwerken auf Uferpromenaden, an Wanderwegen oder Eingängen zu Geschäften Freude bereiten will, gestaltete für das Rote Kreuz in Cham 339 Lichtsteine. Unsere Senioren und Mitarbeiter strahlten um die Wette.
Von Frank Betthausen
Cham. Ihr wolltet schon immer einmal wissen, wie viel Freude ein bunter Stein auslösen kann? Vor der Käsetheke im Supermarkt, neben dem Wanderweg oder in einer Tagespflege-Einrichtung, wie sie das Rote Kreuz in Willmering betreibt? Dann solltet Ihr diese Geschichte lesen! Sie handelt von einer Facebook-Gruppe, einer heimlichen Grußbotschaft – und davon, wie aus drei Steinen in wenigen Tagen 339 werden…
Die Geschichte beginnt am 16. Februar, als Karin Soukup, die Leiterin unserer Tagespflege in der Willmeringer Schulstraße, vor der Tür einen rot bemalten Stein entdeckt. Auf der Vorderseite steht das Wort Liebe – auf der Rückseite sind neben der Aufforderung „finden, freuen, posten“ die Initialen AG und der Hashtag #Lichtsteine zu finden.
„Meine Mutter, die 2019 gestorben ist, hat auch eine solche Einrichtung besucht. Ich habe mir gedacht: Mein Gott, was hätte sie sich gefreut, wenn sie so einen Stein gefunden hätte!“
Annette Grund
Weil Soukup den „Auftrag“ ernst nimmt und wissen möchte, wer hinter der Aktion steckt, veröffentlichen wir auf unseren BRK-Kanälen noch am gleichen Tag einen Beitrag über das besondere Fundstück. Es dauert nur wenige Stunden, da melden sich unter unserem Facebook-Post die Lichtsteine-Initiatoren und mit Annette Grund (AG) auch die geheimnisvolle Person, die unseren Tagesgästen und Mitarbeitern rund um den Valentinstag ein wenig Liebe vorbeigebracht hatte.
Die 46-Jährige gehört der seit Januar bestehenden Facebook-Gemeinschaft Lichtsteine an. Die Mitglieder haben es sich zum Ziel gesetzt, Steine liebevoll-kreativ mit Acrylfarbe zu bemalen, mit wetter- und lichtfestem Lack zu überziehen und sie öffentlich auszulegen. All denen, die sie finden, wollen sie so kleine Glücksmomente im Alltag bescheren und ihren Blick in der Tageshektik für ein paar Augenblicke auf die wesentlichen Dinge lenken.
Das Hobby, das aus den USA seinen Weg hierher fand, erlebt in Deutschland seit dem ersten Corona-Lockdown einen großen Boom.
Seinen Anfang nahm er hierzulande – auch im Landkreis Cham –, als landauf, landab immer häufiger lange, farbenfrohe Steinschlangen zu sehen waren; an Uferpromenaden, auf Spazierwegen oder vor Kindergärten…
Annette Grund ist nicht im Bayerwald zu Hause. Sie lebt in Etterzhausen bei Regensburg und arbeitet in der Objektleitung bei der Wackler Group. Für das Facility-Management-Unternehmen ist sie allerdings an zwei Tagen pro Woche am Bürostandort in Willmering tätig – in direkter Nachbarschaft zur BRK-Tagespflege. „Meine Mutter, die 2019 gestorben ist, hat auch eine solche Einrichtung besucht“, erzählt sie. „Ich habe mir gedacht: Mein Gott, was hätte sie sich gefreut, wenn sie so einen Stein gefunden hätte!“
Also nutzte sie einen ihrer Arbeitstage in der Chamer Vorort-Gemeinde, um im Innenhof in der Schulstraße drei Steine zu verstecken – einen, das Herz, fand Karin Soukup gleich, einen zweiten entdeckte sie am nächsten Morgen, der dritte blieb verschollen…
Der Verlust wog jedoch nicht allzu schwer, denn mit unserer Berichterstattung über Annette Grunds Geste kam, um im Bild zu bleiben, ein Stein ins Rollen, der selbst BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner in ungläubiges Staunen versetzte.
Die Macher der bundesweiten Initiative Lichtsteine freuten sich so sehr über den Artikel, den wir bei Facebook und Instagram veröffentlichten, dass Administratorin Susanne Koller spontan per Messenger bei uns anfragte, für wie viele Mitarbeiter und Senioren wir denn Steine benötigen würden.
„Wir sind alle ein Team. Jeder Stein ist schön, jeder hat seine eigene Note.“
Susanne Koller
Wir nannten der 40-Jährigen aus Köfering bei Regensburg, die in der Leitstelle des Krankenhauses Barmherzige Brüder arbeitet, 35 Tagesgäste und zwölf Mitarbeiter – dazu die neun Bewohner und 14 Beschäftigten der Senioren-Wohngemeinschaft im Stockwerk oberhalb, die ebenfalls bedacht werden sollten. 70 Steine! Mehr als genug, dachten sich Karin Soukup und ihre Kollegin Bettina Alt, die Leiterin der Senioren-WG.
Was dann geschah, müsste in Stein gemeißelt werden!
Koller machte in „ihrer“ zu diesem Zeitpunkt 339 Mitglieder umfassenden Facebook-Gruppe für das Rote Kreuz mobil – um nur knapp eineinhalb Wochen später gemeinsam mit Annette Grund fünf Körbe mit prächtig bemalten Steinen in Willmering vorbeizubringen. 339 Exemplare waren zusammengekommen – fast fünfmal so viele wie vereinbart und exakt so viele, wie die Gruppe zu diesem Zeitpunkt Aktive hatte. „Ein Stein schöner als der andere“, meinen Soukup und Alt bei der offiziellen Übergabe.
Hobbykünstler aus Leverkusen, Dortmund, Dresden, Hamm und Kiel hatten zum Pinsel oder Acrylstift gegriffen, um den BRK-Beschäftigten und Senioren im Landkreis Cham ein Lächeln übers Gesicht huschen zu lassen. Und wie immer, wenn es um die Initiative Lichtsteine geht, machten alle mit: Frauen, Männer, Rentner, Kinder und Jugendliche… „Einer hat 30 Stück gemalt“, berichtet Susanne Koller und gibt einen Einblick in die Philosophie der Gruppe. „Wir sind alle ein Team. Jeder Stein ist schön, jeder hat seine eigene Note.“ Ein „Der eine malt besser oder schlechter“ gebe es nicht, betont sie.
„Einer meiner Steine ist siebenmal gepostet worden.“
Susanne Koller
Wie Annette Grund hat die 40-Jährige immer – egal, wo sie geht oder steht – fünf, sechs oder noch mehr Steine in ihrer Tasche dabei, um sie an passenden Orten und bei stimmigen Gelegenheiten irgendwo abzulegen. Auf dem Weg durch die Stadt, bei einem Bummel durchs Einkaufszentrum, auf der Treppe vor dem Friseursalon, beim Spazierengehen in freier Natur…
Vieles geschieht ganz spontan – etwa wenn Susanne Koller sich entschließt, einen Stein im Vorbeigehen einem Kind im Supermarkt vor die Füße „fallen zu lassen“. Oder wenn sie an einem älteren Herrn vorübergeht und ihm fast unbemerkt eine der „Grußbotschaften“ in den Korb legt, der an seinem Rollator befestigt ist.
Nicht immer findet die Person den Stein, für die er im ersten Moment oder in der ersten Absicht bestimmt war. Manche gehen nur einen halben Meter daran vorbei oder sitzen minutenlang direkt daneben, ohne das bunte Geschenk zu bemerken – und erst der nächste greift zu. Am nächsten Tag, in der nächsten Woche, irgendwann…
„Der Stein sucht sich den Finder – nicht umgekehrt“, ist Koller überzeugt und erzählt die Geschichte von dem Mann, dessen Frau einige Wochen vorher gestorben war und der beim Wandern einen Stein in Herzform auflas. „Der Moment war für mich ein Zeichen, dass sie gerade an mich denkt“, sagte er.
Woher Koller, Grund und ihre Mitstreiter Geschichten und Reaktionen wie diese kennen? Weil die Idee hinter den Steinen – zumindest dann, wenn sie mit der entsprechenden Aufforderung beschriftet sind – die ist, ein Foto zu posten, sobald sie entdeckt wurden.
Um den Wiedererkennungswert zu steigern und die Spuren besser verfolgbar zu machen, beschriften die Gruppenmitglieder ihre Werke mit ihren Initialen oder ihrer Postleitzahl.
„Man erkennt die Steine der anderen Mitglieder.“
Annette Grund
„Einer meiner Steine ist siebenmal gepostet worden“, sagt Koller. Mehrfach im Bayerischen Wald, in Tschechien… Bis sich die Hinweise verloren hätten. Ein anderer sei plötzlich am Gardasee aufgetaucht.
Grundsätzlich werden aber nur fünf bis zehn Prozent der Steine abgelichtet und in den sozialen Netzwerken gezeigt. Der Rest? „Der Finder darf entscheiden, was er macht – ob er den Stein behält oder wieder versteckt“, erklärt Koller. Viele Menschen verschenken ihn nach ihren Erfahrungen oder behalten ihn als Glücksbringer. So wie die Bankangestellte, an deren Schalter Annette Grund einen ihrer Steine wiederentdeckte – oder die Supermarkt-Mitarbeiterin, die ihren Talisman direkt neben der Kasse abgelegt hatte…
Und die Arbeit mit den Steinen? Wie schwer ist die? Susanne Koller muss lachen. Sie sei eine typische Vierer-Schülerin in Kunst gewesen und habe anfangs an ihrem Talent gezweifelt. Bis sie sich einen Ruck gab und sich sagte: „Ein Herz und einen Spruch – das schaffst du schon irgendwie.“
Mittlerweile bemale sie seit rund zwei Jahren Steine. „Und man wird tatsächlich immer besser“, sagt sie. Und nicht nur das! Jeder entwickelt mit der Zeit seinen eigenen Stil.
„Man erkennt die Steine der anderen Mitglieder“, sagt Annette Grund über die Gruppe Lichtsteine, die mit Lumi ein eigenes Maskottchen hat.
Zum Bemalen eignen sich nach ihren Worten fast alle Arten von Steinen, die sich beim Sonntagsspaziergang oder dem Gassigehen mit dem Hund finden – bevorzugt und sehr gerne formschöne, glatte Flusskiesel.
Lediglich aus Beton oder selbstgegossen sollte die „Malunterlage“ nicht sein: Diese Steine werden brüchig, wenn sie länger der Witterung ausgesetzt sind und eignen sich laut Grund nicht für das Hobby. Und keiner der Künstler weiß schließlich vorher, über welchen Zeitraum hinweg seine Arbeit in der freien Natur Regen, Schnee und Sonne standhalten muss.
Susanne Koller entdeckte ihren ersten Stein an einem besonders emotionalen Tag. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, die sie als Krankenhaus-Beschäftigte zu diesem Zeitpunkt doppelt aufwühlte, kam sie am dritten Todestag ihres Vaters vom Friedhof. Sie war in Gedanken, betrübt, unsicher…
Auf einmal fiel ihr Blick auf eine Parkbank vor dem Eingang. Dort lag ein Stein mit der Aufschrift „Lebe, liebe, lache“: für Koller ein Mutmacher! Und: der Anstoß, anderen Menschen mit eigenen Steinen Gutes zu tun!
„Und man wird tatsächlich immer besser.“
Susanne Koller
Welche Wirkung die Arbeit der 40-Jährigen und ihrer Facebook-Mitstreiter hat, wird überdeutlich, als sie an diesem Nachmittag mit Annette Grund, Karin Soukup und Bettina Alt in der Tagespflege und der Senioren-WG in Willmering einen Teil der 339 Steine verschenkt, die bei der deutschlandweiten Malaktion zusammengekommen waren.
Eine ältere Dame fragt kindlich-aufgeregt, ob sie einen zweiten nehmen dürfe…
Ein Mann mit Brille und Schnauzer legt seinen Stein still vor sich auf dem Tisch ab und lächelt sekundenlang selig vor sich hin. Und ein Herr mit Glatze und grauem Haarkranz tut es ihm gleich. Er hat heute Hochzeitstag! Der Stein, den er sich ausgesucht hat, ist bunt gemustert und hat ein großes Herz in der Mitte.
Nach dem Rundgang durchs Haus bleiben weit mehr als 250 Steine übrig. Sie sollen auf weitere BRK-Einrichtungen und an weitere Kollegen im Landkreis Cham verteilt werden.
Bleibt unseren Kanälen treu – wir werden sicher bald noch einmal darüber berichten! Ganz nach dem Lichtsteine-Motto „Let's sparkle the world“ – „Lasst uns die Welt zum Funkeln bringen“…