Das BRK-Senioren-Wohn- und Pflegeheim Waldmünchen wird heuer 50 Jahre alt. Leiter des Hauses ist seit 2010 Stefan Paa. Der 49-Jährige ist gelernter Elektromechaniker und kam über Stationen bei den Firmen Zollner und Deltec als Quereinsteiger zum Roten Kreuz. "Unter dem Strich ergänzt sich das gut, weil ich die Pflege mit meiner Denkweise oft hinterfrage und ihr auch einmal den Spiegel vorhalte", meint er im Interview mit BRK-Pressesprecher Frank Betthausen. Zum Jubiläum seiner Einrichtung wünscht sich Paa dringend echte Aufmerksamkeit für seine Kollegen. "Unsere Pflegekräfte fühlen sich durch die Entscheider in der großen Politik zu wenig wertgeschätzt", sagt er. Zum Teil herrsche nach zweieinhalb Jahren Pandemie enormer Frust, die Kollegen seien ausgepowert.
Von Frank Betthausen
50 Jahre Senioren-Wohn- und Pflegeheim Waldmünchen! Stefan, was ist Dein größer Geburtstagswunsch für Dein Haus, Deine Mitarbeiter und Deine Bewohner?
Stefan Paa: Mein größter Wunsch ist, dass die Pflege künftig die Wertschätzung erhält, die sie verdient hat – und zwar ehrlich und nicht bloß als medienwirksame Sprücheklopferei. Damit dieser Pflegeberuf von der Bevölkerung endlich als das wahrgenommen wird, was er ist: eine unvorstellbar wichtige Komponente in unserem sozialen Leben.
„Wir haben hochqualifizierte Mitarbeiter, die zum Teil über Jahrzehnte hier tätig sind und immer schon ein Stück von sich selbst hergeben, damit es unseren Bewohnern gut geht.“
Heimleiter Stefan Paa
Wie kommt die Pflege raus aus dem Jammertal? Was muss passieren, damit dieser Beruf, der so viel zu bieten hat an Perspektiven und Erfüllung, so wahrgenommen wird, wie er wirklich ist?
Stefan Paa: Dazu braucht es ein Ende der Negativschlagzeilen und der medialen Darstellung, die oft nur die unerfreulichen Dinge beleuchtet. Es braucht eine Präsentation der schönen Seiten, die dieser Beruf zu bieten hat. Nur so schaffen wir es, gerade junge Leute wieder mehr zu motivieren – genauso wie Berufswechsler, die irgendwann im Laufe ihres Arbeitslebens in diese Richtung umschwenken. Es ist einfach eine andere Außendarstellung nötig.
Was macht Deine Einrichtung in Waldmünchen aus? Was charakterisiert sie?
Stefan Paa: Zum einen ist es die Verbundenheit mit der Region. Wenn in Waldmünchen oder der Umgebung jemand „vom Altenheim“ spricht – wobei wir das schon längst nicht mehr sind, sondern ein Pflegeheim –, redet er immer von diesem Haus. Zum anderen sind es die hochqualifizierten Mitarbeiter, die zum Teil über Jahrzehnte hier tätig sind und immer schon ein Stück von sich selbst hergeben, damit es unseren Bewohnern gut geht. Mit gelebter Herzlichkeit und Professionalität! Wir sind darüber hinaus ziemlich stark in der Ausbildung, was sich in einem sehr niedrigen Altersdurchschnitt und einem guten Miteinander zwischen Jung und Alt niederschlägt.
Wo siehst Du euch nach mehr als zwei Jahren Corona?
Stefan Paa: Wir stehen nach zwei Jahren Corona weit hinter dem, was vorher war. Wir haben in dieser Zeit durch viele Faktoren Federn gelassen. Nicht zuletzt durch einige belastende Situationen – etwa das Ausbruchsgeschehen Anfang 2021. Die Politik hat uns in all der Zeit seit März 2020 immer mehr abverlangt und meist kurzfristig auferlegt. Die Hoffnung, dass die Branche diese Chance nutzt – Stichwort Applaus –, die Pflege endlich im richtigen, positiven Licht darzustellen, ist in meinen Augen wieder verpufft.
Wie geht es den Kollegen?
Stefan Paa: Unsere Pflegekräfte fühlen sich in der öffentlichen Wahrnehmung und durch die Entscheider in der großen Politik zu wenig wertgeschätzt. Zum Teil herrscht nach den vergangenen zweieinhalb Jahren Pandemie enormer Frust. Die Kollegen sind ausgepowert und gerade wieder am Luft holen. Sie hoffen alle, dass sie endlich einmal wirklich wahrgenommen werden. Ein Stück weit kommen wir uns nämlich vergessen vor. Zu all dem kommt der Wunsch, dass auch bei uns endlich Normalität eintritt. Es kann nicht sein, dass ich zwei Wochen im Urlaub bin und die Gesellschaft ein Leben ohne große Corona-Beschränkungen führt – und dann ins Pflegeheim zurückkehre und wieder in einer anderen Welt bin. Wir haben einiges wieder aufzuholen, weil uns Corona deutlich zurückgeworfen hat. Aber wir werden das schaffen – nicht zuletzt, weil es beim Kreisverband ein funktionierendes, kollegiales Netzwerk über alle Führungsebenen hinweg gibt.
1972 bis 2022: 50 Jahre Pflege! Das ist eine Welt. Wie hat sich die Pflege verändert – speziell auch in den zwölf Jahren, für die Du als Heimleiter sprechen kannst?
Stefan Paa: Früher war Pflege in einer stationären Einrichtung wie dieser nicht unbedingt üblich. Die Menschen sind damals – auch in Waldmünchen – im Rentenalter ins Heim gegangen, wenn sie gemerkt haben, dass es zu Hause nicht mehr ganz so gut geht, und haben hier gewohnt. Sie hatten ihr Essen hier, ihre Unterhaltung und ihre Wohnadresse. Mit diversen Reformen im Gesundheitsbereich sind aus den Altenheimen Pflegeheime geworden. In Sachen Pflege haben sich viele Aufgaben, die bis dahin im Krankenhaus stattgefunden hatten, mehr oder weniger zu uns verlagert. Früher waren mit Sicherheit 80 bis 90 Prozent der Bewohner rüstig, heute liegen wir bei drei Prozent.
Du hast einen interessanten Werdegang. Du kommst ursprünglich aus der Industrie. Wo sind für Dich in der Rückschau die größten Unterschiede zwischen Deinen Jobs?
Stefan Paa: Der größte Unterschied zur Industrie und meinem vorherigen Arbeitsbereich ist ganz einfach, dass man in einem Pflegeheim und unserem Sozialsystem in sehr engen Leitplanken unterwegs ist. Die Flexibilität und Experimentierfreudigkeit, der Unternehmermut und -wille ist in der freien Wirtschaft um ein Vielfaches höher, als es in einer solchen Einrichtung möglich ist.
„Ich frage da mit meiner Naivität durchaus auch einmal ‚Ist das so richtig?‛, wenn ich etwas anders verstehe.“
Heimleiter Stefan Paa
Das hat nichts mit dem BRK zu tun, sondern einfach mit dem engen Pflege- und Sozialsystem in Deutschland, das zum Teil schon einem Reglementierungswahnsinn unterliegt, der nicht optimal ist, um es so zu formulieren.
Und wo profitierst Du von Deiner früheren Aufgabe?
Stefan Paa: Ich bin kein Pfleger – und das ist auch gut so. Den größten Bereich in einem Pflegeheim mit etwa 70 Prozent der Mitarbeiter macht die Pflege aus, der die Pflegedienstleitung mit der entsprechenden Qualifikation vorsteht. Einrichtungsleiter sind für den wirtschaftlichen Betrieb zuständig – das geht mehr in den Bereich Personal, Materialbeschaffung oder Finanzen hinein und betrifft Themen wie Buchhaltung und Gebäudemanagement. Unter dem Strich ergänzt sich das gut, behaupte ich, weil ich die Pflege mit meiner Denkweise oft hinterfrage und ihr auch einmal den Spiegel vorhalte. Ich frage da mit meiner Naivität durchaus auch einmal „Ist das so richtig?“, wenn ich etwas anders verstehe.
Ihr seid schon fast Sanierungsweltmeister hier in Waldmünchen. Was tut Ihr alles, um das Heim auf dem neuesten Stand zu halten?
Stefan Paa: Wir haben ein Sanierungskonzept für dieses Gebäude, das wir konsequent umsetzen. Wir haben 2015 einen großen Wurf gemacht, als wir unter anderem die neuen Aufenthaltsräume angebaut und den Außenbereich umgestaltet haben – mit einem barrierefreien Hof. Wir haben damals einen neuen Haupteingang bekommen, neue Mehrzweckräume, ein neues Foyer und eine neue Verwaltung. Dazu eine neue Tagespflege, neue Bäder, neue Böden und LED-Beleuchtung fürs gesamte Haus! 2015 und 2016 haben wir richtig viel umstrukturiert.
„Alles, was wir unternommen haben, war wichtig und richtig. Wir wollen schließlich auch attraktive Arbeitsplätze bieten.“
Heimleiter Stefan Paa
Und vor drei Jahren habt Ihr euch dem Haus von außen zugewandt…
Stefan Paa: Ja, wir sind damals dem Thema Energie begegnet und haben mehr als 400 neue Fenster und Balkontüren setzen lassen. Wir haben neue Balkone bekommen und sind gerade darüber, auch im letzten Trakt moderne Balkonanlagen zu bauen. Das ist schon etwas Besonderes für ein Pflegeheim, weil Balkone dort oft als teuer und unwirtschaftlich angesehen werden. Ich finde aber, sie sind eine unwahrscheinliche Aufwertung für die Zimmer. Und wenn wir schon Gerüste aufstellen, erneuern wir nach 30 Jahren auch gleich die Fassaden und legen Photovoltaik-Anlagen aufs Dach.
Und wenn Ihr draußen fertig seid?
Stefan Paa: Folgen drinnen die nächsten Schritte mit neuen Bodenbelägen in bestimmten Bereichen… Wir haben schon einen Großteil der Küchenausstattung erneuert, die Aufzüge saniert und haben neue Küchen auf den Stationen bekommen, aber wir müssen uns dringend den Türen der Zimmer und weiteren Bädern zuwenden, die es zu modernisieren gilt. Uns geht die Arbeit nicht aus. Das Haus ist im Ursprung 50 Jahre alt, aber wie im privaten Bereich bleibt die Zeit nicht stehen und du musst dranbleiben. Hier bin ich der Geschäftsführung und dem Kreisvorstand mit Theo Zellner an der Spitze sehr dankbar. Sie haben die Notwendigkeit für all die Sanierungen gesehen und diese Millionen-Investitionen in den zwölf Jahren, die ich jetzt hier bin, mitgetragen. 2021 haben wir im Übrigen auch im gesamten Haus neue Betten bekommen – und heuer erhalten wir noch neue Stationszimmer. Alles, was wir unternommen haben, war wichtig und richtig. Wir wollen schließlich auch attraktive Arbeitsplätze bieten.
Zum Schluss möchte ich Dich bitten, noch zwei kurze Sätze zu ergänzen! Leben im Alter bedeutet…
Stefan Paa: …hoffentlich gut versorgt in seinem sozialen Umfeld leben zu können.
Wenn ich selbst einmal alt bin, dann…
Stefan Paa: …hoffe ich, dass die Pflege und die soziale Betreuung in Deutschland immer noch auf diesem Niveau geboten werden, wie wir es heute gewohnt sind.
Hintergrund: Das BRK-Heim in Waldmünchen