Wenn der Rettungssanitäter auf einmal Pistole trägt

Im Bayerischen Zentrum für besondere Einsatzlagen (BayZBE) in Windischeschenbach werden Terror- und Amoklagen oder Szenarien mit großem Gefährdungspotenzial dargestellt. Bei der jüngsten Großübung, die der Grenzüberschreitende Rettungsdienst aus Furth im Wald organisierte, ging es um schwere Explosionen, Attentäter und Situationen, die nicht die waren, die sie auf den ersten Blick zu sein schienen. Ganz besonders im Blick stand die Zusammenarbeit mit den Rettungskräften aus Tschechien.

  • Von Frank Betthausen

    Furth im Wald. Klar! Auch kritische Nachfragen gehören dazu. „Brauchen wir das wirklich?“, wollte einer der Teilnehmer aus Tschechien von Manfred Maurer wissen, als die gemeinsame Übung mit den deutschen Kollegen im Bayerischen Zentrum für besondere Einsatzlagen (BayZBE) in Windischeschenbach beendet war. Drei Tage später gab die Realität dem Rettungsdienst-Mitarbeiter aus dem Nachbarland die knallharte Antwort – und auch Manfred Maurer als Projektleiter des Grenzüberschreitenden Rettungsdiensts (Gü-RD) mit Sitz in Furth im Wald konnte überzeugt sagen: „Ja, wir brauchen das!“

    Denn: Nur 72 Stunden, nachdem deutsche und tschechische Retter im BayZBE diverse drastische Szenarien durchgespielt und ihr Vorgehen im Krisenfall aufeinander abgestimmt hatten, kam es in Seubersdorf (Landkreis Neumarkt) nach den Messer-Attacken eines 27-Jährigen in einem ICE zu einem Großeinsatz mit hunderten Beteiligten. „Alles, was wir machen, kann sehr schnell sehr dominant in den Vordergrund rücken. Und wir sehen, dass das, was wir tun, absolut richtig ist“, sagt Maurer.

  • Bei den Übungen im Bayerischen Zentrum für besondere Einsatzlagen werden auch Situationen trainiert, die plötzlich in eine ganz andere Richtung umschlagen können - zum Beispiel, weil ein Busfahrgast (gespielt natürlich von einem Rettungsdienst-Mitarbeiter) auf einmal eine Waffe zückt... (Foto: BRK)

„Alles, was wir machen, kann sehr schnell sehr dominant in den Vordergrund rücken. Und wir sehen, dass das, was wir tun, absolut richtig ist.“ 

Manfred Maurer, Projektleiter Grenzüberschreitender Rettungsdienst

Er hatte das dreitägige Schulungsprogramm in Windischeschenbach mit seinem kleinen Team durchgeplant und organisiert – gemeinsam mit den Ausbildern des Rettungsdienstes Pilsen und den Mitarbeitern des BayZBE. Übungen wie die kürzlich abgehaltene sind einer der Schwerpunkte des Gü-RD in der zweiten Projektphase, die Ende 2022 ausläuft. Ab 2023 soll die Arbeit der Further Mitarbeiter nach dem Willen der BRK-Verantwortlichen fünf Jahre nach der Gründung des Kompetenz- und Koordinierungszentrums in den Regelbetrieb übergehen.

  • Rund 350 Teilnehmer verzeichnete Manfred Maurer bei dem jüngsten Schulungstermin im November. An jedem der drei Tage stellten sich auf dem Gelände des BayZBE 35 Vertreter bayerischer Rettungsdienst-Organisationen und genauso viele aus dem Nachbarland den Aufgaben der Übungsleiter.
  • Rund 350 Teilnehmer verzeichnete Maurer bei dem jüngsten Termin im November. An jedem der drei Tage stellten sich auf dem Gelände des BayZBE 35 Vertreter bayerischer Rettungsdienst-Organisationen und genauso viele aus dem Nachbarland den Aufgaben der Übungsleiter.

    Während die deutschen Retter von den Maltesern genauso stammten wie aus den Reihen der Johanniter, des BRK und der Berufsfachschule für Notfallsanitäter in Bayreuth, war es auf tschechischer Seite ausschließlich der Rettungsdienst Pilsen, der seine Kollegen aus den grenznahen Rettungswachen in den Landkreis Neustadt an der Waldnaab entsandte.

Dazu kamen pro Tag zwölf Schiedsrichter aus Tschechien sowie jeweils fünf Disponenten der Integrierten Leitstelle Pilsen und der Integrierten Leitstellen Hof, Nordoberpfalz, Amberg, Regensburg und Straubing. Unterstützung erhielten die Organisatoren durch die Unterstützungsgruppe Sanitätseinsatzleitung (UG SanEL) des BRK-Kreisverbands Weiden und Neustadt, der für die Trainings-Szenarien die Leitstelle auf bayerischer Seite stellte.

Bei allen Übungen – die deutschen und die tschechischen Kontingente bestanden jeweils aus sechs Rettungswagen, zwei Notarzteinsatzfahrzeugen und der Einsatzleitung – lief die Kommunikation über die im Gü-RD entwickelte, zweisprachige Software Babylon 2. Wegen der großen Zahl an Einsatzkräften teilten die Übungsleiter die Kontingente. Die Kollegen, die gerade nicht übten, mimten laut Maurer die Verletzten.

  • Corona hatte dafür gesorgt, dass sich das Schulungsprogramm extrem verdichtete. Ursprünglich hätten die Überlegungen von Maurer vorgesehen, im aktuellen Projekt-Zeitraum drei Übungen verteilt auf drei Jahre abzuhalten. Wegen der Pandemie galt es jedoch, massiv umzustrukturieren.

    So fanden in Windischeschenbach bei der Schulung im November je drei Übungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen statt. „Eine Woche später hätten wir all das wegen der ausufernden Lage im Land gar nicht mehr umsetzen können“, verdeutlicht Maurer.

  • Bei zwei der drei Übungen bekamen es die Teilnehmer mit Explosions-Szenarien zu tun.

„Eine Woche später hätten wir all das wegen der ausufernden Lage im Land gar nicht mehr umsetzen können.“ 

Manfred Maurer, Projektleiter Grenzüberschreitender Rettungsdienst

Jeder Tag stand nach seinen Worten unter anderer Leitung – erst wurde unter tschechischer, dann unter bayerischer und schließlich unter gemeinsamer Führung geübt. Den gleichen Wechsel bei den Zuständigkeiten gab es bei den einzelnen Trainingssequenzen, die – angelehnt daran – einmal in Tschechien, einmal in Bayern und einmal im Grenzbereich spielten.

Und das Bayerische Zentrum für besondere Einsatzlagen wäre nicht die Einrichtung, die sie ist, wenn es die Übungen nicht in sich gehabt hätten. Schließlich werden dort Terror- und Amoklagen oder Szenarien mit großem Gefährdungspotenzial dargestellt. So sah das erste Trainingsschema vor, dass ein Bus in eine größere Menschenmenge gerast war. Beim zweiten Durchlauf wurde das Geschehen um einen Fahrgast erweitert, der plötzlich eine Pistole zückte.

  • Das Feedback der Teilnehmer sei sehr gut gewesen, meint Gü-RD-Projektleiter Manfred Maurer. „Vor allem deswegen, weil wir etwas trainiert haben, das derzeit im Rettungsdienst normalerweise noch nicht beübt wird und das es so als Ausbildungsschema bisher nicht gibt.“
  • Die zweite Ausgangslage drehte sich um einen Gebäudebrand nach einer Gasexplosion, die in suizidaler Absicht verursacht worden war. „Hier ging es vor allem um die Frage: Schicke ich die Einsatzkräfte rein oder nicht?“, berichtet Maurer.

    Auch die dritte Situation bauten die Übungsleiter rund um eine Explosion auf – allerdings war bei der Primäralarmierung der Hintergrund unklar. Vor Ort stellte sich für die Einsatzkräfte heraus, dass ein Unbekannter eine Handgranate gezündet hatte. Darüber hinaus bekamen sie es – ein simulierter Terrorakt also – mit einer besonders perfiden Strategie zu tun.

„Wichtig war uns, das Ganze in Lernschritte zu unterteilen. Wir haben die Teams nicht blindlings in die Szenarien laufen lassen, sondern in Briefings Einsatzschritte erarbeitet.“ 

Manfred Maurer, Projektleiter Grenzüberschreitender Rettungsdienst

Ein Attentäter erschoss in dem vorgegebenen Szenario die Besatzungen der ersten vier Fahrzeuge und warf eine weitere Handgranate. „Ethisch-moralisch sicher eine Herausforderung“, sagt Maurer, nach dessen Darstellung es in diesem Fall aus einsatztaktischer Sicht auch darum ging, einen neuen Einsatzleiter zu benennen. Unter dem Strich sollte für die Übungsteilnehmer die wichtige Botschaft stehen: Nicht immer ist die Lage so, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint.

„Wichtig war uns, das Ganze in Lernschritte zu unterteilen“, sagt Maurer. „Wir haben die Teams nicht blindlings in die Szenarien laufen lassen, sondern in Briefings Einsatzschritte erarbeitet.“  Am Ende stand jeweils ein Gesamtbriefing aus tschechischer und bayerischer Sicht sowie aus der Perspektive des Grenzüberschreitenden Rettungsdienstes – wobei es nie um Bewertungen im eigentlichen Sinne, um die Frage, wer besser oder schlechter war, oder einen Wettbewerbscharakter ging, sondern darum, die Zusammenarbeit zu verbessern.

Das Feedback der Teilnehmer sei sehr gut gewesen, meint Manfred Maurer. „Vor allem deswegen, weil wir etwas trainiert haben, das derzeit im Rettungsdienst normalerweise noch nicht beübt wird und das es so als Ausbildungsschema bisher nicht gibt.“

Und kritische Nachfragen, ob es so etwas braucht? Die gehören dazu. Die beste Antwort darauf gibt – wie in Seubersdorf – oft die schmerzhafte Realität…

Unterstützen Sie jetzt ein Hilfsprojekt mit Ihrer Spende