Vier Tage Wacken-Wahnsinn bei Hitze und Staub
Beim größten Heavy-Metal-Festival der Welt im Landkreis Steinburg in Schleswig-Holstein geht es laut und verrückt zu. Es fließen Unmengen Alkohol – aber bei jedem Dorffest gibt es mehr Schlägereien und Auseinandersetzungen als auf dem riesigen Open-Air-Gelände und den schier endlosen Campingflächen. Während Einsatzkräfte bei vielen anderen Anlässen beschimpft und attackiert werden, schlägt ihnen beim Sanitätsdienst in Wacken pure Dankbarkeit entgegen. Sabrina Glaser und Daniel Schreiner, Aktive der BRK-Bereitschaft Furth im Wald, waren nach zwei Jahren Corona-Pause heuer wieder mittendrin im Gewühl von 120 000 Menschen.
Von Frank Betthausen
Cham/Furth im Wald. Wahnsinn! Für das, was in Wacken beim größten Heavy-Metal-Festival der Welt abgeht, gibt es nur dieses eine Wort. Es beschreibt den Trubel auf dem riesigen Areal im Landkreis Steinburg in Schleswig-Holstein, auf dem sich tagelang gut 120 000 Menschen tummeln. Es steht für die irren Begegnungen.
Und: Es bringt kurz und knapp zum Ausdruck, was die rund 550 Einsatzkräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz während ihres Sanitätsdiensts bei dem Open Air erleben. Mittendrin im Wahnsinn waren Anfang August nach zwei Jahren Corona-Pause Sabrina Glaser und Daniel Schreiner vom BRK-Kreisverband Cham.
„Aus einmal wird zweimal, aus zweimal wird dreimal – und aus dreimal jedes Jahr.“ Daniel Schreiner
Als Mitglieder der Wacken Rescue Squad, die der DRK-Ortsverein Kaltenkirchen in diesem Jahr zum 16. Mal zusammenstellte, engagierten sich die beiden Mitglieder der Bereitschaft Furth im Wald von Mittwoch bis Samstag ehrenamtlich in ihrem Urlaub im hohen Norden, um zusammen mit Kollegen aller Farben und Hilfsorganisationen für die Sicherheit der Besucher zu sorgen.
Das Deutsche Rote Kreuz betreibt in seinem Camp in Wacken während des Festivals einen großen Behandlungsplatz – „ein Krankenhaus auf dem Acker“, wie es Kaltenkirchens Ortsvorsitzender Jürgen Schumacher formuliert. Dazu kommen fünf Unfallhilfsstellen in der Nähe der Bühnen.
Sie waren auch diesmal Haupteinsatzort von Glaser und Schreiner. Während die 25-Jährige ihr drittes Wacken Open Air (W:O:A) erlebte, war ihr 31-jähriger Kollege zum fünften Mal dabei. Und beide wissen längst, dass sie sich auch 2023 wieder beim DRK bewerben werden.
„Aus einmal wird zweimal, aus zweimal wird dreimal – und aus dreimal jedes Jahr“, sagt Schreiner über den Virus, der ihn bei seiner Premiere 2016 gepackt und nie mehr wieder losgelassen hat. „Es ist wie ein Heimkommen, ein Heimatgefühl“, sagt Glaser und meint damit in besonderer Weise die Stimmung in der Helfertruppe. Natürlich: Es sei Arbeit. Und, ja, sie seien im Dienst. „Aber es ist ein Dienst zum Abschalten“, sagt die Furtherin, die in Weiding als Zahnmedizinische Fachangestellte arbeitet und sich gerade zur Zahnmedizinischen Verwaltungsassistentin fortbildet.
Als Rettungsdiensthelferin bringt sie die Erfahrung mit, die in Wacken gefragt ist. Dem Team gehören neben Ärzten und Notärzten Notfall- oder Rettungssanitäter genauso an wie Aktive mit sanitätsdienstlicher Ausbildung oder Krankenpfleger.
Sie alle bilden die „Wacken-Familie“, der sich Glaser und Schreiner immer wieder so gerne und überzeugt anschließen. „Man fiebert richtig darauf hin, die Leute wiederzutreffen“, erzählt die 25-Jährige, die ein Riesenfan der oberfränkischen Metal-Band Hämatom ist.
Die Gruppe zählte in diesem Jahr zu den Headlinern. Kein Wunder, dass die Vorfreude bei der Furtherin doppelt groß war. Auch Daniel Schreiner, der seine Bereitschaftskollegin einst animiert hatte, sich den Wacken-Irrsinn anzutun („Komm', fahr' mal mit!“), sah seine Lieblingsband im Sanitätsdienst aus der Nähe: Powerwolf!
„Wenn Du wirklich mal während eines Konzerts vom Bühnengraben aus in die Menschenmenge musst, machen dir die Leute Platz.“ Daniel Schreiner
Was für die beiden neben der Kollegialität in der Rescue Squad und der Musik den Reiz an Wacken ausmacht? „Das Friedliche!“, sagt Sabrina Glaser. Die Metalheads stehen und halten mit ehrlicher Hilfsbereitschaft zusammen, echte Probleme gibt es selten… Es geht laut zu, verrückt, es fließen Unmengen Alkohol – aber nach den Erfahrungen der beiden Chamer Rot-Kreuz-Kräfte gibt es bei jedem Dorffest mehr Schlägereien und Auseinandersetzungen als auf dem Open-Air-Gelände und den schier endlosen Campingflächen. Und das will etwas heißen! Wacken gilt während des Festivals als drittgrößte Stadt Schleswig-Holsteins! Während Einsatzkräfte bei vielen anderen Anlässen mittlerweile viel zu oft beschimpft und attackiert werden, schlägt ihnen in Wacken pure Dankbarkeit entgegen.
„Es sind wahnsinnig angenehme Leute“, sagt Daniel Schreiner. „Die Wertschätzung der Besucher! Auch das macht es so schön!“ Den Helfern werden zum Dank Lieder gesungen, sie erleben dutzendfaches Schulterklopfen – und mehr als einmal haben Metalheads in verregneten Jahren den Rettern geholfen, ihre festgefahrenen Fahrzeuge aus dem knietiefen Schlamm freizubekommen oder verunglückte Freunde gemeinsam mit den Sanitätern hunderte Meter zum nächsten Rettungswagen zu tragen.
„Wenn Du wirklich mal während eines Konzerts vom Bühnengraben aus in die Menschenmenge musst, machen dir die Leute Platz. Sie bilden eine Gasse und halten sie im Fall der Fälle sogar frei, bis du zurückkommst“, erzählt Schreiner, der seit 2010 fürs Rote Kreuz arbeitet. Nach dem Zivildienst engagierte er sich als Rettungsdiensthelfer sowie als ehren- und hauptamtlicher Rettungssanitäter. Im September hat der 31-Jährige seine letzte Prüfung als Notfallsanitäter-Schüler vor der Brust.
„Es ist wie ein Heimkommen, ein Heimatgefühl.“ Sabrina Glaser
Auch er weiß also genau, was in Wacken zu tun ist, wenn jemand Hilfe benötigt. „Es ist ein San-Dienst mit vielen Herausforderungen, bei dem du wahnsinnig viel lernst“, sagt er. Von schweren Rückenverletzungen beim Crowdsurfing – immer wieder stürzen Konzertbesucher aus luftiger Höhe zu Boden – bis hin zu Mäusebissen bei Kindern ist alles dabei…
Sportliche Betätigung inklusive! „Du gehst jeden Tag 20 000 Schritte“, erläutert der Further, der sich vor sechs Jahren „einfach mal so“ für den Sanitätsdienst angemeldet hatte und seitdem „geflasht“ ist.
Ein Gefühl, das Sabrina Glaser nur zu gut kennt. „Die Größe – das ist unglaublich. Du stehst hinter der Bühne, siehst die ganzen Leute und denkst dir: wow!“
An dieser Begeisterung können auch die Übernachtungen mit hunderten anderen, dauerschnarchenden Helfern in der engen Schulturnhalle nichts ändern. Genauso wenig wie Starkregen, Matsch, Trockenheit oder Staub – je nachdem, was das W:O:A für seine Gäste bereithält…
In diesem Jahr war es brütende Hitze, die Glaser und Schreiner an ihre Grenzen brachte. „Es war irre! Manchmal hast du selbst zu kämpfen gehabt, dich auf den Beinen zu halten“, erzählt sie.
Für das, was seit 1990 im August in Wacken abgeht, gibt es eben nur ein Wort: Wahnsinn!